Zeit Geschichte 2020 Nr 6 - Die Nürnberger Prozesse.pdf
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G
eschichte
Epochen. Menschen. Ideen
Vor 75
Jahren
Nürnberger
Prozesse
Die
Schlussstrich oder Strafverfolgung?
Der Kampf um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
FUNDSTÜCK
3
Der letzte Todeskandidat
Das Telegramm kommt Anfang Februar 1951. Will
sie ihren Mann noch einmal sehen, soll Frau Schmidt
aus Holzminden bis zum 13. des Monats das War
Criminal Prison No 1 im fränkischen Landsberg auf-
suchen. Hans Schmidt wird der letzte von den Alli-
ierten zum Tode verurteilte Kriegsverbrecher sein,
der dort hingerichtet wird – 21 Todesstrafen hatten
die Amerikaner Ende Januar noch in Gefängnishaft
umgewandelt. Aber bei Schmidt und sechs weiteren
Gefangenen sahen sie keine Gründe für Gnade.
Schmidt war als Adjutant des Kommandanten im
Konzentrationslager Buchenwald verantwortlich für
sämtliche Exekutionen im Lager, unter anderem von
Hunderten sowjetischen Kriegsgefangenen. Seine
eigene Hinrichtung wird zweimal verschoben, weil
eine Gnadenkampagne die Urteile bis vor den Obers-
ten Gerichtshof der USA bringt. Im Weißen Haus
geht aus Deutschland eine Liste ein mit mehr als
600.000 Unterschriften für die Verschonung
Schmidts und der anderen Verurteilten. Noch im
Januar 1951 demonstrieren 4000 Menschen vor dem
Landsberger Rathaus. Schmidt selbst schreibt Bun-
despräsident Theodor Heuss: »Ich habe Befehle aus-
geführt, die mir rechtmäßig gegeben wurden. Ich
scheide als der letzte der Landsberger Todeskandida-
ten. Ich sterbe unschuldig.«
Am 7. Juni werden die Urteile vollstreckt. Frau
Schmidt lässt den Leichnam ihres Mannes nach
Höxter bringen, wo er beigesetzt wird. 5000 Men-
schen nehmen am Begräbnis teil, darunter zahlreiche
ehemalige Kameraden von der SS. Nur ein großes
Polizeiaufgebot kann verhindern, dass die Trauerfei-
er zu einer Propagandaveranstaltung der neonazisti-
schen Sozialistischen Reichspartei wird.
FLO
4
EDITORIAL
AUFRÄUMEN:
Amerikanische Soldaten durchkämmen im April 1945 eine Trümmerlandschaft im zerstörten Nürnberg.
In der Stadt der Reichsparteitage beginnt am 20. November der Prozess gegen die Spitzen des NS-Regimes
Die Macht des Bösen brechen
Als die Alliierten im Frühjahr 1945 die deutschen Konzentrations
lager befreien, lernt die Menschheit ein neues Wort für Hölle:
Überall stoßen die Soldaten auf Leichen, verstreut umherliegend
oder aufeinandergeschichtet wie Stapelholz. Nichts habe ihn so
erschüttert wie der Anblick der nackten toten Körper, erinnert
sich USGeneral Dwight D. Eisenhower später.
Die Verbrechen der Nationalsozialisten waren so monströs, so
menschenverachtend, dass sie nach einer Antwort verlangten, die
ihrerseits grenzenlos war: Ein Weltgericht sollte den Zivilisations
bruch sühnen; nicht die Rache der Sieger, sondern das Recht der
zivilisierten Völker. Der Nürnberger Prozess wurde zur Geburts
stunde des humanitären Völkerrechts.
Auch wenn diesem größten Strafverfahren aller Zeiten bis
heute der Vorwurf der »Siegerjustiz« anhaftet, weil es sich ei
gene Regeln schuf – es war revolutionär, was im Herbst 1945
zur Anklage kam. Erstmals erklärte ein Tribunal nicht einzelne
Taten, sondern ein mörderisches Regime wie das der National
sozialisten zur Strafsache. Erstmals richtete es die Mächtigen an
der Spitze einer Regierung, auch wenn diese nach geltenden
Gesetzen gehandelt hatten. Bis dahin schützte das Völkerrecht
die Souveränität der Staaten, nun wandelte es sich zum Men
schenrecht, das vor Verbrechen im Namen des Staates bewahren
sollte. Und zum ersten Mal wurde der Angriffskrieg zu einem
solchen Verbrechen erklärt.
In Nürnberg sollte die Macht des Bösen ein für alle Mal ge
brochen und das Fundament einer friedlichen Weltordnung
gelegt werden. Unser Heft blickt nach 75 Jahren zurück auf
diesen beherzten Aufbruch, aber auch auf die Jahrzehnte danach,
die Verfolgung der NSVerbrechen durch deutsche Gerichte, die
lange eine Geschichte der Verdrängung, Verharmlosung und
Vertuschung blieb. Viele schwer belastete NSTäter nahmen
nicht auf der Anklagebank Platz, sondern in den Karrieresesseln
der jungen Bundesrepublik.
Was ist geblieben von Nürnberg? An den hochfliegenden Er
wartungen, das erwachte Weltgewissen werde Krieg und Völker
mord verhüten, konnte der Neuanfang nur scheitern. Erst als im
Jahr 2002 der serbische Menschenschinder Slobodan Milošević
vor ein internationales Gericht gestellt wurde, schien der Geist
von Nürnberg wieder lebendig. Doch das globale Menschenrecht
entwickelte sich nie zum Goldstandard der Politik. Am Ende
unseres Heftes zieht Carla Del Ponte, die ehemalige Chefankläge
rin des JugoslawienTribunals, eine ernüchternde Bilanz. Selbst
die Vereinigten Staaten, einst Vorkämpfer der Weltgerechtigkeit,
betrachten das Völkerstrafrecht inzwischen als Schönwetterregel
mit beschränkter Haftung – so verbindlich wie die Fensterreden,
die kürzlich zum 75. Jahrestag der UN gehalten wurden. Eines
hat sich seit 1945 eben nicht verändert: Gerechtigkeit bleibt ein
leeres Wort, wenn keine Macht sie stützt.
FRANK WERNER
Chefredakteur
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6
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I N H A LT
3 Fundstück
6 Zeitenwende
Der Neubeginn 1945 in Bildern
80 Urteile im Akkord
Für die DDR-Justiz ist der Antifaschismus
eine Waffe gegen den Westen
Von Daniela Münkel
14 Das Weltgericht
Der Nürnberger Prozess revolutioniert
das Völkerrecht
Von Annette Weinke
84 Zwischen den Fronten des Kalten Krieges
Erwin Schüle verfolgt NS-Verbrecher – und stürzt
über die eigene Vergangenheit
Von Christian Staas
20 Rausch und Recht
Stadt der Parteitage, Ort des Tribunals: Eine
Reise nach Nürnberg
Von Christoph Dieckmann
88 Der Ankläger
Fritz Bauer bringt 1963 den Massenmord in
Auschwitz vor Gericht
Von Sybille Steinbacher
28 Anklage Massenmord
Die 24 Hauptkriegsverbrecher und ihre Urteile
94 Panne mit Kalkül
Hat ein deutscher Beamter Tausende NS-Schergen
vor Strafverfolgung bewahrt?
Von Manfred Görtemaker
30 »Wir haben keine Schuld«
Kaum einer der Angeklagten zeigt Einsicht
oder Reue
Von Volker Ullrich
96 Das Lager ist die Tat
Spätes Umdenken: Der Demjanjuk-Prozess 2009
schreibt Rechtsgeschichte
Von Heinrich Wefing
36 »Duell auf den Tod«
Ankläger Jackson will Göring vorführen.
Doch er unterschätzt ihn
Von Andreas Molitor
102 Auf der Suche nach Reue
104 Der große Aufbruch
Simon Wiesenthals dubioser Freund
Von Markus Flohr
44 Die Wegducker
Im Kreuzverhör offenbart Reichsbankchef
Walther Funk erstaunliche Wissenslücken
Von Nürnberg nach Den Haag: Die Bilanz eines
langen, steinigen Weges
Von Norbert Frei
48 »Wo sind diese Kinder?«
Zeugen enthüllen in Nürnberg das Grauen
des Völkermords
Von Hauke Friederichs
108 »Man muss die Mächtigen nerven«
Die ehemalige Chefanklägerin Carla Del Ponte über
Gerechtigkeit für Syrien und die Ohnmacht der UN
52 Die Elite im Visier
In den Folgeprozessen wird auch gegen Ärzte
und Unternehmer verhandelt
Von Frank Bajohr
112 Bücher / Bildnachweise / Impressum
114 Vorschau
59 Ein Leben für das Recht
Der 100-jährige Benjamin Ferencz blickt
zurück auf seine Zeit als Ankläger
60 Selbstjustiz mit Hammer und Schaufel
Lynchmorde an alliierten Bomberpiloten
vor Gericht
Von Judith Scholter
62 Häftlinge im Zeugenstand
In Dachau wird dem KZ-Personal
der Prozess gemacht
Von Barbara Distel
66 Die letzte Schlacht des Generals
Die Anklage gegen Manstein erzürnt die
deutsche Öffentlichkeit
Von Bert-Oliver Manig
Reporter in Nürnberg
Sie berichten über den Jahrhundertprozess:
Erika Mann, Willy Brandt, Martha Gellhorn und
Ernest Hemingway sowie Markus Wolf.
Seite 47, 65, 79 und 93
Weitere Texte im Internet: www.zeit.de/zeit-geschichte
TITEL:
Blick auf die Anklagebank im
72 »Warum kommen Sie erst jetzt?«
Untergetaucht in Südamerika: Der Fall
Josef Schwammberger
Von Daniel Stahl
74 Im Namen des Vergessens
Vor westdeutschen Gerichten dürfen NS-Täter
auf Milde hoffen
Von Benjamin Lahusen
Nürnberger Gerichtssaal
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iPhoneBibel 2025 Nr 1.pdf
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