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UNVERÖFFENTLICHTE
BRIEFE AN SCHOPENHAUER.
Mitgeteilt von
ARTHUR HÜBSCHER (München).
Im XV. Bande der historisch-kritischen Ausgabe von Arthur Schopen-
hauers Sämtlichen Werken (R. Piper
&
Co., Verlag, München 1933) habe
ich zum ersten Male den gesamten Briefwechsel Arthur Schopenhauers
aus den letzten zehn Jahren seines Lebens veröffentlicht. In diesem Bande
sind alle erreichbaren Briefe v o n Schopenhauer vereinigt Bei den un-
gleich zahlreicheren Briefen a n Schopenhauer mußte dagegen eine Aus-
wahl getroffen werden. Maßgebend war der Gesichtepunkt des B r i e f -
w e c h s e l s ; so daß — von einigen Ausnahmen abgesehen — alle jene
Schriftstücke ausgeschaltet wurden, bei denen Schopenhauers Gegenäuße-
rungen fehlen, sei es, daß er überhaupt keine Antwort gegeben hat, sei
es, daß sie verlorengegangen oder bis heute noch nicht aufgefunden ist.
Manche dieser Briefe können gleichwohl eine gewisse Bedeutung für
Lebens- und Werkgeschiente beanspruchen. Sie kommen mit Dank und
mit Einwand, mit der Bitte um Ratschläge und mit Fragen und Skrupeln,
sie hinterlassen ihre Spuren in den Briefen und Gesprächen Schopen-
hauers, und so gehören sie mit in das Gesamtbild der sich ausbreitenden
Wirkung seiner Lehre auf die Zeitgenossen. Die wichtigsten dieser Briefe
werden im folgenden buchstabengetreu wiedergegeben. (Die Originale
sind im Besitz des Schopenhauer-Archivs Frankfurt a. M.)
1. „Es i s t doch v i e l von so einem F r a u e n -
zimmerchen."
Am 13. August 1855 richtete die Schriftstellerin Jeanne Marie von
Gayette, später Gattin des Begründers einer Erziehungsanstalt für schwach-
sinnige Kinder bei Wien, Dr. Georgens, das folgende Huldigungsschreiben
an Schopenhauer:
Hochgeehrtester Herr!
Die Veranlaßung zu diesen Zeilen, die dem Empfänger
meines Briefes vielleicht etwas gewagt erscheinen, erklärt
das so natürliche Gefühl der Dankbarkeit, welches den Be-
schenkten zu dem Geber führt. Der Weise in
Frank-
furt a. M.
ist für mich',. eine ihm gewiß ganz unbekannte
Schriftstellerin, ein solcher Geber u. ich denke es kann
ihn nicht beleidigen, wenn eine Frau, ohne besondere
— 108 —
Studien in der Philosophie gemacht zu haben, doch von dem,
in seinen Werken enthaltenem Schönen so begeistert ist,
daß sie sich gedrungen fühlt ihm dieses auszusprechen.
Ich las vor ungefähr einem Jahr in den Grenzboten
einen Aufsatz von H. Fichte über die „Schopenhauersche
Philosophie"
1
u. derselbe hatte so viel Anregendes für
mich, daß ich seit jener Stunde mich bemühte, das Werk
zu erlangen. Ich reiste damals nach
Berlin,
wo ich mich
den Winter über aufhielt, u. forschte in den großen König!
u. Universitätsbibliotheken nach, bekam aber stets den Be-
scheid daß das Werk ausgegeben sei. Kurz vor meiner
Rückreise hierher zu meinen Eltern, als ich desselben
wieder gegen einen jungen Offizier erwähnte, von welchem
mir bekannt war, daß er sich ernsten Studien widme, er-
fuhr ich zu meiner Freude, daß er es selber besitze u es
mir für den Sommer überlaßen wolle. Noch sprach ich mit
Profeßor
Werder
darüber in
Berlin,
welchen ich fragte, ob
es nicht Vermeßenheit sei, mich an die Lecktüre eines phi-
losophischen Werkes zu machen, u. ob er glaube daß ich es
verstehn könne. Er rieth mir dasselbe aufmerksam zu
lesen, u ich ging nun muthig an das Werk, dem ich, ohne
mir eine Erklärung von meinem unbeschreiblichen Ver-
langen danach geben zu können, so eifrig nachgeforscht
hatte. Es kann mir nicht einfallen, mich mit Ihnen hoch-
geehrtester Herr, in Disputationen über das mir Zugäng-
liche in dem Werke einzulaßen. Ich studire das Werk hier
gemeinschaftlich mit einem Manne, der Ihnen aus zwei
Momenten seiner litterarischen Wirksamkeit vielleicht be-
kannt sein wird : aus seinem Buche über Goethe u seiner
gegen Hegel gerichteten Polemik. Beide Bücher haben zu
ihrer Zeit gewirkt; Goethe selbst spricht sich überrascht
durch das Verständniß aus welches er zuerst bei dem jungen
Anonyme Rezension der Frauenstädtschen „Briefe über die
Schopenhauersche Philosophie", Grenzboten 1854, Nr. 9 ; vgl. Schopen-
hauers Äußerungen über diese Rezension in den Briefen an Frauenstädt
vom 4. März 1854 (DXV, 287 f.), an Becker vom 8. März 1854 (DXV,
289), an von Doß vom 11. März 1854 (DXV, 291), an Frauenstädt vom
26. März 1854 (D XV, 295) und vom 9. April 1854 (DXV, 300).
1
— 109 —
Manne
(Schubarth)
gefunden. Profeßor Schubarth
2
lebt
ebenfalls seit länger als zwanzig Jahren, ein Fremdling
in seinem Vaterlande, nur seinen geschichtlichen u littera-
rischen Studien. Zu ihm ging ich zunächst mit Ihrem Werk.
Er war bereits vielfach darauf aufmerksam gemacht durch
Pomptow
3
, Frauenstädt u A u vertiefte sich sogleich in
die Lecktüre desselben. Ich wollte ihn veranlaßen etwas
darüber zu schreiben, um ein neues Organ für deßen Ver-
breitung zu gewinnen, er fühlt sich aber gegenwärtig
körperlich zu schwach, um sich der Arbeit zu unterziehn.
Ich schrieb nun beiliegendes Gedicht, u. frage Sie geehr-
tester Herr, ob Sie daßelbe paßend zum Abdruck finden,
u ob ich mir erlauben darf, es einem der Journale, bei
welchen ich thätig bin zu übergeben; entweder den
Gutz-
kowschen
Unterhaltungen, der
Kühneschen Europa
oder
der
Oolnischen
oder
Berliner
Zeitung. Ich gehöre zu den
Menschen, welche die Wahrheit nicht allein vertragen
können, die sie über alles hochschätzen, u die Kritik, wie
sie, seit meiner zehnjährigen schriftstellerischen Thätig-
keit mit mir verfahren, ist mir da stets, wo sie, wenn-
gleich mit Schärfe, doch mit Nachdenken n Gerechtig-
keit verfuhr, von großem Werth gewesen. So unterwerfe
ich mich auch Ihrem Ausspruch n werde ihn mit Dank
aufnehmen, sollte er auch
sans grâce
ausfallen. Ich laße
mich gern von mächtigen Impulsen leiten, weil ich mir
A
nach längerer Beobachtung meiner selbst, trauen gelernt,
u habe mich von der Einrede fremden Urtheils unab-
hängig gemacht, wo es sich um die Möglichkeit eines
großen Gewinnes im Gegensatz zu einer großen Täuschung
handelte.
Ich habe, was meinen Zug zum Schriftstellern be-
trifft, diesen von Kind auf gehabt. Ich schrieb Komödien
2 Karl Ernst Schubarth (1796—1861), Philologe und Ästhetiker in
Berlin, zuletzt Gymnasialprofessor in Hirschberg.
3
Dr. Pomtow, Verfasser der Abhandlung „über die Immanenz des
Willens in den Dingen und in der Seele. Ein Versuch, die Frage: Wie
ist das Erkennen möglich? nach Arthur Schopenhauers Principien zu
lösen." (Programm des Joachim sthalschen Gymnasiums zu Berlin vom
29. September 1854.)
— 110 —
für meine Puppen, meine Schularbeiten mußten meiner
Novellistik weichen, u so fort. In letzterer Zeit habe ich
mich mehr dem kritischen Fache zugewendet, weil mir
für die Romantik das Intereße erlosch. Es ist somit auch
in meinem Schriftstellerleben immer ein u derselbe Wille
gewesen der sich nur verwandelt, geläutert, u ich hoffe»
indem ich Ihrer Anweisung folge, da Sie sehr richtig
sagen, es sei für die
médiocren
Poeten viel beßer in ihren
Mußestunden etwas Gutes zu lesen als etwas Schlechtes
zu schreiben, ich mich selber noch zu etwas Gutem empor-
arbeiten werde.
Verzeihen Sie das Vertrauen hochgeehrter Herr wo-
mit ich Sie belästigt. Ihr reicher Geist giebt Ihnen die
richtigen Aufschlüße über mein Thun u somit Seyn. Ge-
währen Sie mir eine freundliche Antwort u genehmigen Sie
die Versicherung meiner außerordentlichen Hochachtung.
Jeanne Marie
�½ Gayette
Hirschberg
in Schlesien, 13 August 55
[Anlage:]
An Arthur Schopenhauer.
Der F r e m d l i n g im V a t e r l a n d e .
Viel schlimmer als verbannt in fremdem Lande
Zu irren ohne Heimath, ohne Freund,
Noch schlimmer als in Haft u Kerkerbande
Gefeßelt sein, von theuerm Aug' beweint,
Isis in dem Vaterland verkannt zu leben,
Und seine Kräfte nur dem Undank geben.
Viel süßer ists, des Neides Stachel fühlen,
Den Hohn empfinden, den der Feind ergießt,
Am Zorn des Schmähers seinen eignen kühlen,
Als daß die Zeit dir ungekränkt verfließt;
Weil Niemand achtete des Ungewohnten,
Weil Eigensucht u Trägheit oben thronten.
An deutschem Strom steht eines Weisen Hütte,
Der tiefes Wort mit ernstem Munde spricht,
Doch unbemerkt blieb er in Deutschlands Mitte,
Und was er lehrte, kümmert dieses nicht;
Es lebt bequem mit seinen Eintagsdichtern,
Der Philosoph gehört den Weltenrichtern.
— Ill —
Doch trifft er schwerer noch als jeden Andern
Der Geisterbann, den Weisen, der für Dich
Des Lebens Wahrheitswege sucht zu wandern,
In deßen Wirken keine That für sich;
Der für ein Volk, für kommende Geschlechter,
In der Arena kämpft gleich Hellas Fechter.
Gleich ihm von tausend Wunden überdecket,
Dahinstirbt im Bewußtsein seiner Kraft,
Daß Heldensinn nicht vor Gefahren schrecket,
Daß Nachruhm neue Kämpfer, Sieger schafft.
Ja süßer ists an Feindeswunden sterben,
Als ruhmeswerth, doch ungekannt verderben.
Ihm ahnet wohl, daß andre Zeiten tagen,
Und daß auch seinen Ruhm ihr Licht bestrahlt,
Daß er ein Heros sie wird überragen,
.Und daß die Schuld ein neu Jahrhundert zahlt.
Mög' dies Geschlecht nicht für den Undank büßen!
Mit diesem Wort laßt mich den Weisen grüßen.
Diese merkwürdige Huldigung sollte in der nächsten Zeit eine große
Rolle im Briefwechsel Schopenhauers spielen. Am 7. September 1855
sandte er Brief und Gedicht an Frauenstädt, dem er fortlaufend die für
die Ausbreitung und Auswertung seiner "Lehre bezeichnenden brieflichen
Zeugnisse mitzuteilen pflegte: „Der Brief des Fräuleins und ihr Gedicht
ist gar artig: Das Gedicht ist w i r k l i c h g u t . Es ist doch viel von
so einem ^rauenzimmerchen»." (DXV, 414 f.)
Als das Gedicht von Frauenstädt zurückgekommen war, sandte
Schopenhauer es am 20. Januar 1856 an seinen Freund Becker weiter:
„Ich lege Ihnen das
billet doux
eines Fräulein bei, bitte es jedoch jeden-
falls binnen 8 Tagen zurückzusenden: es ist noch nicht gedruckt er-
schienen." (DXV, 443.)
Von Becker kam es am 1. Februar 1856 zurück: „Ich bemerke so-
eben, daß die Frist abgelaufen ist, binnen welcher Sie das
«billet-doux»
der Fräul.
Jeanne Marie
�½ G.
zurückverlangten und beeile mich daher
Ihnen solches hiebei zu überschicken, sowie die (jedenfalls wohlgemeinte)
poetische Ergießung dieser Ihrer Verehrerin." (DXV, 446.)
Eine Veröffentlichung war immer noch nicht erfolgt. Deshalb fragt
Schopenhauer am 11. Februar 1856 bei seinem Berliner Apostel E. 0.
Lindner an, ob eine Möglichkeit bestehe, das Gedicht in einem von
Lindner etwas geheimnisvoll angekündigten
opus
(dem Roman „Sturm
und Kompaß" von Lindners Frau) unterzubringen: „Ist mir eingefallen, ob
nicht vielleicht das Gedicht der Gayette eine Stelle darin finden könnte,
da ich dasselbe sehr ungern der Öffentlichkeit entzogen sehe, weil die
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